Pour les notes critiques, la discussion des sources, et
une édition faisant état des variantes (peu), des ratures, le
rapprochement des sources, on se reportera au fascicule imprimé. Ce texte
est en trois parties :
- L'autobiographie :
Christian Cottlob Neffens Lebenslauf
von ihm selbst besdirieben
- Un auto-portrait littéraire :
Resultat der Beobachtung meiner selbst
- Un complément rédigé par Susanna Maria Neefe sa veuve, publié en 1799
:
Neefes Lebensgeschichte von seiner hinterlassenen Wittwe
fortgesetzt
Ich bin im Jahre 1748 den 5 Februar zu Chemnitz
im Erzgebürge Sachsens geboren. Ohnerachtet meine Aeltern arm sind, so
hielten sie mich dock früh zur öffentlichen Stadtschule an. Eine ungemein
gute Diskantstimme bahnte mir bald den Weg in das große Singechor, allwo
ich den Anfang zur Erlernung der Singkunst machte, (und) wodurch mir und
meinen lieben rechtschaffnen aber armen Aeltern es leichter ward, die
nüthigen Schulkosten zu bestreiten. Ich bin meinen damaligen Lehrern,
besonders dem verstorbenen biedern Kantor
Hofmann, dem verstorbenen Recktor
Nager und dem noch jetzt lebenden Recktor
Jünger zu Freyberg, der aber damals noch Conrecktor zu Chemnitz
war, vielen Dank für ihren treuen Unterricht und ihre Geduld schuldig. Die
letzte habe ich oft aufgefordert durch meine jugendliche Lebhaftigkeit,
die nicht selten in Muthwillen ausartete, welches ich in reifern Jahren
oft bereut habe. Ich faßte die vorgetragenen Lehren ziemlich schnell und
arbeitete mit großer Leichtigkeit. Daher war ich eben nicht der fleißigste
Schüller. Ich begnügte mich damit, daß ich immer mit meinen Ausarbeitungen
zur gehörigen Zeit fertig war, da ich denn gemeiniglich mit den
fleißigsten Mitschülern gleiches Lob einärndete. Oefters kützelte midi
eine witzige satirische Laune, und ich batte Freimüthigkeit genug, alle
meine Einfälle rund heraus zu sagen, wodurch ich mir manchen Verdruß
zuzog. Sogar gerieth ich einmal auf den Abweg, ein Religionsspötter zu
werden. Vide körperliche Beschwerlichkeiten, die für mich in meiner Jugend
mit dem Gottesdienst verbunden waren, elende Predigten von einigen
Pfarrern, ihr Stoltz, Intoleranz, und überhaupt ein ihren Lehren so oft
widersprechendes Leben, am meisten aber Umgang mit eines berüchtigten
plumben Religionsspötters
Edelmann Bruder führten mich darauf. Dieser unvorsichtige Mann, ein
Advokat, gab mir unerfahrnen schwankendem Jünglinge fast alle
Lästerschriften seines Bruders in die Hände, die ich mit gierigen Zügen
verschluckte und bey Gelegenheit wieder von mir gab. Den Anfang im
Klavierspielen machte ich bei dem Stadtorganisten
Willhelmi, und nachher bei einem gemeinen preußischen Soldaten, der
im siebenjährigen sächsischen Kriege bei uns im Winterqvartier stand.
Bessere Meister konnt ich nicht haben und auch nicht bezahlen. Zwar lebte
in Hohenstein, einem schönburgischen Städtchen nur drei Stunden weit von
Chemnitz, ein feuriger geschickter Tonkünstler, Kantor
Tag, der itzt einer meiner liebsten Freunde ist; aber auch diese
kleine Entfernung war für meine Umstände zu weit, als daß ich seines
Unterrichts hätte genießen können. Nur zuweilen besucht ich ihn, und
verließ ihn nie, ohne neue Ermunterung von ihm erhalten zu haben. Das
meiste hab ich in der Folge aus
Marpurgs Anleitungen und aus
C. P. E. Bachs Versuch gelernt.
In meinem zwölften Jahre ward der Hang zur
musickalischen Komposition in mir rege. Ich setzte allerlei Kleinigkeiten
unter erborgten und erdichteten Namen auf, belauschte die Urtheile der
Zuhörer, und meine Arbeiten, oder richtiger zu sagen, meine Schmierereien,
erhielten Beifall von Leuten, die der Kunst eben so unkundig und noch
unkundiger denn ich waren. Einige Zeit berauschte mich dieser Beifall, ich
tappte immer noch in Finsterniß fort, stumpfte manche Feder, und besudelte
manchen schönen Bogen Pappier, bis meine Überlegung reifer geworden, und
ich mich, noch als chemnitzer Schüller, mit meinen schriftlichen Anfragen
über die Komposition an meinen nachher so verehrungswürdigen Freund Hiller
in Leipzig wendete.
In meinem l4 Jahre verlohr ich, (durch welchen Zufall?
weiß ich nicht) meinen geraden Körper. Von der Zeit an ward ich kränklich.
Doch hatte auch wohl mein Vater mir den Keim zur Hipochondrie mitgetheilt.
Er selbst war in verschiednen Perioden sehr mit dieser Krankheit belastet.
Und in meiner Kindheit schon ward ich mit der sogenannten englischen
Krankheit behaftet, wovon mich, nach meiner Aeltern Aussage, nichts als
die hällische Goldtincktur geheilt haben soll.
In meinem 15 Jahr wollte mich mein Vater, um meines
schwächlichen Körpers willen, und weil es uns an Mitteln mangelte, mich
studiren zu lassen, einem Handwerke, das nicht viel Leibesstärke
erforderte, widmen.
Ich sträubte mich dagegen, sagte ihm frei heraus, daß
nichts vermögend sei, mich von den Studien abzuwenden, berief mich auf die
göttliche Vorsehung, die schon manchen Armen mit ähnlichem. Vorsatz,
unterstützt hätte, erinnerte ihn an lebende Beispiele, und an den Beistand
den ich schon bisher von Gönnern erhalten hätte. Er beruhigte sich darbei,
und ich gieng meinen angetretnen Weg getrost fort.
1767 reißte ich nach Leipzig, um ein Bürger der
Akademie unter dem Recktorate des sogenannten apokalyptischen Doctor
Crusius zu werden. Er war ein sanfter gutdenkender Mann, ein
scharfsinniger, obgleich an sein Sistem gebundener, Philosoph und ein
thätiger Christ, der aber von seinen meisten Anhängern entweder gar nicht,
oder falsch verstanden, und von seinen Gegnern verkannt ward. Bei der
Schwachheit sich in apokalyptische Träumereien zu verliehren wozu ihn das
Studium der bengelischen Schriften verleitet hatte, übersah der
Partheigeist seine übrigen guten Eigenschaften und Fähigkeiten so wohl
natürliche als erworbene.
Nach meiner Zurückkunft unterrichtete ich wie vorher in
Musick und andern Wissenschaften, theils um dadurch selbst noch zu lernen,
theils Mittel zu erwerben zur Anschaffung nützlicher und angenehmer
Bücher. Unter den letzteren waren vorzüglich
Gellerts,
Rabners und
Geßners Schriften; doch fand ich an den geßnerischen den meisten
Geschmack. Aus
Klopstocks Gedichten schöpfte mein Geist erst später Nahrung und
Vergnügen, weil ich, aufrichtig zu sagen, sie erst spät fassen lernte.
1769 zu Ostern, nachdem ich mit gerührtem Herzen von
meinen Verwandten und Freunden Abschied genommen, und mein Vater mit
Thränen im Auge mich noch versicherte, er wolle mich nie gänzlichen Mangel
leiden lassen, und wenn er auch sein kleines Haus, das er sich durch saure
Arbeiten erworben, wieder verkaufen müsse — und nach den herrlichsten
Aelterlichen Vermahnungen und Seegens Wünschen — bezog ich mit schwacher
Gesundheit und noch schwächerem Geldbeutel die Universität zu Leipzig.
Gesammelte 20 Thaler und ein jährliches Stipendium von 30 Gülden vom
Magistrat meiner Vaterstadt waren mein ganzer Reichthum, mit welchem ich
die Kosten meiner Studien und meines Unterhalts bestreiten sollte.
Die äuserste Einschränkung von meiner Seite,
Unterstützung einiger gutgesinnten Menschen, und die Uneigennutzigkeit
einiger Professoren kamen mir zu Hülfe. Meine Lehrer waren in der
Moralphilosophie
Gellert, (Ewig segnet mein Herz sein Andenken;) in der Logick,
Metaphisick, Phisick und Moral
Seydlitz, nach crusiusischen Grundsätzen in dem Natur -und
Völkerrecht und justinianischen Institutionen
Sammt, in den Digesten nach dem heinecciusischen Kompendium
Breuning, nach dem böhmerischen und in der sächsischen
Proceßordnung
Tobias Richter, in der Geschichte des bürgerlichen Rechts
Kleemann; Ohne die sogenannten öffentlichen Kollegien zu erwähnen,
die ich besucht habe. Das Studium der Logick, Moralphilosophie und des
Natur- und Völkerrechts gewährte meinem Geiste eine angenehme Nahrung.
Auch zur bürgerlichen Rechtsgelehrsamkeit spürte ich anfänglich viel
Neigung, bis ich zu den Pandeckten und der Proceßordnung kam, wo ich aus
den unendlichen, durch die unerschöpfliche Boßheit der Menschen
veranlaßten Ausnahmen von den Regeln einsehen lernte, was das alte
Sprüchwort heiße: Die Gerechtigkeit hat eine wächserne Nase. Hier verlohr
ich alle Lust, ein Rechtsgelehrter zu werden. Dieß, mein geringes
Gedächtniß, welches zur Rechtsgelahtheit untauglich war, der überwiegende
Hang zur Musick, das Gefühl vorzüglicher Fähigkeiten darzu, das Zureden
meiner musickalischen und aesthethischen Freunde,
Hillers,
Engels und andrer, auch meine Hipochondrie, mit der ich vom Anfange
meiner akademischen Studien heftig zu kämpfen gehabt, und die ich nun
durch das anmuthigere Studium der Tonkunst zum Theil zu verscheuchen
hofte, bewog mich, Themis zu verlassen und mich ganz Euterpen zu widmen.
Doch zum Beweiß für gewisse Personen, daß ich meine akademischen Jahre
nach ihren Begriffen nicht unnütz verlebt und das vaterstädtische
Stipendium nicht unwürdigerweise genossen hätte, absolvierte ich zuvor
meine juristischen Studien, disputierte öffentlich unter dem Vorsitz
meines gewesenen Lehrers, des Dockt:
Tobias Richters über die Frage: Ob ein Vater befugt sei, seinen
Sohn zu enterben, weil er sich dem Theater geweihet? Ich verneinte diese
Frage aus dem Satze: Bei aufhörender Ursache hört auch die Würkung
auf.
Die Hipochondrie hat mir viele Leiden gemacht. Zwischen
1770 und 1771 war mein Körper durch sie so entkräftet, daß ich kaum von
einem Hause zum andern schreiten konnte, mein Geist so niedergebeugt, und
so mit kranken Einbildungen erfüllt, daß ich nur höchst selten arbeiten
konnte, daß ich oft die Jahrzahl vergaß, daß ich beim hellsten blauesten
Himmel regnen sahe, bald diese, bald jene Todesart wähnte . Oft peinigten
mich Gedanken des Selbstmords, die schrecklichste Angst trieb mich umher,
jeder kleine Sandhügel ward mir zum unübersehbaren Gebürge! Zuweilen sah
und hört ich zuviel, zuweilen hatt' ich wieder Augen und sah zu wenig;
Ohren und hörte zu wenig. Ich war gewiß in einem traurigen Zustand.
Vernünftige Aerzte, Diät und mäßige Zerstreuungen verscheuchten endlich
dieses Ungeheuer. Doch hab ich dieser Krankheit auch vieles zu
verdanken.
1) Leitete sie mich wieder näher zur Religion. Der
Hipochondrist bildet sich immer einen nahen Tod ein. Ich trachtete also
nach bessern und gründlichern Einsichten in die Religion, und Gefühl für
sie in meinem Herzen zu erwecken, um mit der Freudigkeit und den
Hoffnungen eines vernünftigen Christen sterben zu können. Die Bücher die
ich mir als Mittel zur Erreichung meines Zwecks wählte, waren folgende:
Bonnets Betrachtungen über die Natur;
Moses Mendelssohns Phädon;
Bonnets philosophische Beweise für das Christenthum;
Schröcks christliche Kirchengeschichte;
Nößelts Vertheidigung der christlichen Religion;
Hallers Briefe über die Offenbahrung. Meine Erbauungsbücher waren:
Das neue Testament;
Spaldings und
Jerusalems Predigten;
Gellerts Moral und geistliche Lieder. Auf solche Art ward mir die
Religion verehrungswürdig, und ich spürte die herrlichen Früchte derselben
im Herzen und Leben. Doch muß ich gestehen, daß ich den innerlichen
Gottesdienst mehr liebe als den äuserlichen. Zwar kann ein kurzes
herzliches Gebet in der Gemeinde, ein kräftiger gemeinschaftlicher Gesang
meine Seele erheben. Aber eine Predigt, auch vom besten Redner, kann ich
nicht mit anhaltender Aufinerksamkeit anhören. Und wie bald verliehrt man
auch nicht, durch äusere Ursachen, einige Worte, die doch nothwendig zum
Sinn des Ganzen gehören! Auch lieb ich das kirchliche Ceremoniell nicht
weiter, als sofern es zur Erhebung der Seele beitragen kann.
2) Hielt sie mich von den gewöhnlichen Ausschweifungen
der Jünglinge auf Universitàten ab. Man beredete mich einsmals, nach einem
Dorfe ohnweit Leipzig mitzutraben, wo damals noch ein Tempel der Unzucht
gedultet ward. Was ich in demselben nur an unzüchtigen Minen und
Kleidungen sahe, trieb mich bald wieder fort und prägte mir einen
unausrottlichen Abscheu gegen alle solche Hauser, gegen ihre viehischen
Bewohner, und überhaupt gegen Unkeuschheit ein. Aber ein reines Gefühl für
das schöne Geschlecht hegt ich immer in meinem Busen.
3) Ward ich durch sie in den Stand gesetzt, meinem
Vater der einen so harten Anfall von ihr bekam, daß er in melancholische
Verzweiflung fiel, Trost zuzusprechen und Rath zu ertheilen. Er hatte
keinen Begriff von dieser Krankheit, und leitete darum seine Leiden aus
der unrechten Qvelle her. Ich lehrte ihn aus eigener Erfahrung die wahre
Beschaffenheit seines Zustands kennen, zeigte ihm, daß die Ursachen seiner
Qvalen im Körper und nicht in der Seele zu suchen seyen, daß niemand
weniger, als der arme Teufel Antheil dran habe; und nun widerrieth ich ihm
den geistlichen und empfahl ihm den leiblichen Arzt. Ich schlug ihm die
Mittel vor, deren ich mich bedient. Er hatte Zutrauen zu mir, gab meinen
Rathschlägen Gehör, nahm einen geschickten Arzt an, gebrauchte der
vorgeschriebenen Arzneimittel, und so genaß er am Leibe und folglich auch
wieder am Gemüthe.
4) veranlaßte sie eine genauere Freundschaft zwischen
Hillern und mir. Er hatte selbst viel von ihr gelitten. Und gleiche
Schicksale bringen die Menschen gemeiniglich näher zusammen.
Ich bin nun wieder auf
Hillern gekommen, und ich habe Pflicht mich itzt länger bei ihm zu
verweilen. Welcher Musickfreund kennt und liebt nicht diesen einsichts-
geschmack- und empfindungsvollen Komponisten, diesen musikalischen
Gellert! und welch unbefangener Tonkünstler schätzt ihn nicht! wenn auch
nicht als ein großes feuriges Genie, doch aber als ein viel und nützlich
würckendes. Auch durch sein Herz, durch seinen vortrefflichen Karackter
erwirbt er sich die Hochachtung aller Edlen. Ihn beseelt Religion eines
vernünftigen Christen. Er ist menschenliebend, wohlthätig, gefällig,
dienstfertig, fleißig, und besonders eifrig für die gute Sache der Musick.
So eine Thätigkeit für seine Kunst mit Hintansetzung seiner ökonomischen
Vortheile, so einen glühenden Eifer, jedes junge Talent zu unterstützen,
entwickeln zu helfen, und dessen Glück zu befördern, hab ich nie wieder
gefunden. Dieß weiß ich nicht etwan aus Erfahrung an mir allein. Welch
erstaunliche Mühe hat er sich gegeben, nach Art der Italiäner
Conservatorien in Teutschland zu errichten, wenigstens zu veranlassen um
seinem Vaterlande sowohl als Auslàndern brave Sänger und überhaupt
geschickte Musicker zu ziehen. Er vereinigte sich zu diesem Ende einst mit
der Armenschule der Freimäurer in der Friedrichsstadt zu Dreßden, die sich
gerne mit ihm zu dieser lobenswürdigen Absicht verbanden. Alle seine seit
sechs Jahren herausgekommenen musickalischen, theoretischen und
pracktischen Schriften bezogen sich auf diesen Plan. Er bedürfte aber noch
kräftigerer Unterstützung. Daher bewarb er sich um den Beistand einiger
Großen, er der nichts mehr scheute, als sich bei ihnen einzudringen,
'dessen Wahlspruch ist: (und wornach er auch würklich lebt) Ich lebe
schlecht und recht, Bin keines Dieners Herr, und keines Herren Knecht.
Aber er bewarb sich umsonst. Er fand in Teutschland wenig Teutsche, die
für teutsche Art und Kunst thätig seyn mochten. Nachdem er Talent,
Einsicht, Zeit, Mühe, Gesundheit und Vermögen vergebens verwendet, manches
einträgliche Amt ausgeschlagen hatte, weil er bei demselben nicht sattsam
nach seiner Neigung und für seinen Plan würken könnte, ward er milßmüthig,
gab seinen Plan auf, wünschte eine Gegend zu verlassen, wo er so treu in
seiner Sphäre gedient, und noch weit mehr hatte dienen wollen, und wo er
doch so wenig Beistand, viel weniger Belohnung empfangen; er begnügte
sich, verschiedene brave Sänger und Sängerinnen, wie z. B. die beiden
Demoisellen
Podleska, gebildet zu haben, (mit denen er nach Mietau
gereißt ist) zum Beweiß, daß er wohl der Mann gewesen wäre, eben so gute
Singschulen in Teutschland zu errichten als die Italiäner besitzen. Außer
seiner Kunst hat er auch Sprachenkenntniß und Einsichten in verschiedne
andre Künste und Wissenschaften. Man findet bei ihm eine, eben nicht
große, aber ausgewählte Bibliotheck aus verschiedenen Fächern, besonder
aus Philosophie, Geschichte, Aesthethick und Musick, und eine Sammlung der
besten Werke klassischer Komponisten.
Dieser Mann nun ist es, der vorzüglichen Anspruch auf
meine Dankbarkeit zu machen hat. Er ist die Qvelle, woraus ich meine
bessern musikalischen Kenntnisse geschöpft. Zwar kann ich nicht sagen, daß
ich so eigentlich Schule bei ihm gemacht habe. Aber seine Gespräche über
musikalische Dinge, seine Erinnerungen über meine Arbeiten, seine
Bereitwilligkeit mir die besten Muster in die Hände zu geben und mich auf
ihre vorzüglichsten Schönheiten aufmerksam zumachen, dieselben zu
entwickeln; das Vorschlagen solcher Bücher, worinnen die Kunst auf
psichologische Gründe gebaut war, z. B.
Homes Grundsätze der Kritick,
Sulzers Theorie u. a. m. — nützten mir mehr als ein f örmlicher
Unterricht. So oft ich zu ihm kam empfieng er mich mit freundlichen Augen.
Dieß benahm mir die Furcht, ihm mit der Vielheit meiner Befragungen und
Besuche überlästig zu werden. Eine ziemlich lange Zeit war ich um ein
geringes Geld sein Kostgänger. (Damals gieng auch der itzige königl.
preußische Kapellmeister
Reichard fleißig bei ihm aus und ein, und berathschlagte sich mit
ihm über musikalische Gegenstände.) Dadurch bekam ich Gelegenheit, mit
vielen andern wackern Tonkünstlern, in- und ausländischen bekannt zu
werden. Er verschafte mir auch Bekanntschafft mit andren Gelehrten,
schönen Geistern und Künstlern. Die Gesellschaft eines
Weise, Garve, Engel, Müller, Oeser, Bause, Geyser pp- ihre Werke,
ihre unpartheiische Empfehlung andrer Produdcte, ihre Unterredungen und
Urtheile klärten meinen Verstand immer mehr und mehr auf, bildeten meinen
Geschmack und meine Empfindung. Ich fieng ich an, es zu bereuen, daß ich
vorher meinen Kopf mit so manchen unnützen Ideen angefüllt hatte. Doch
konnt ich mich damit trösten, daß ich durch Umstände darzu gezwungen
worden. Mit ausnehmenden Vergnügen erinnre ich mich noch des Umgangs
dieser Männer unter einander. Wie sie so einträchtig, so liebevoll
beisammen waren; so Hand in Hand arbeiteten; ihre Werke unter sich so
aufrichtig und bescheiden beurtheilten; sich durch unschmeichelndes Lob zu
ermuntern suchten; so fein scherzten; Weisheit und Frölichkeit beim
freundschaftlichen Mahl so glücklich mit einander zu verknüpfen wußten;
diejenigen, welche Väter waren, ihre Kinder so vortreflich erzogen; so
edel immer handelten, als sie sprachen, schrieben oder zeichneten und
mahlten! Auch darf ich hier der Zitzmannischen Familie in Leipzig, die
mich ihrer Freundschaft würdigte, nicht vergessen. Er ein geschickter
Rechtsgelehrter ; Sie eine Zöglingin von
Gellert, die die besten Schriften der Teutschen, Engelländer und
Franzosen mit Anwendung auf ihr Herz gelesen, die mit Gelehrten und
Künstlern in Briefwechsel steht, schön, korreckt und in einem männlichen
Styl schreibt, so manches sanfte Gedicht macht, Musick liebt, so schün
zeichnet, daß einst ein großer Kenner, als sie eine Aberlischle Landschaft
kopiert hatte, Original und Kopie mit einander verwechselte; die ein
genaues Tagebuch über sich selbst führt, ihre Kinder vortreflich erzieht,
ihren Gatten zärtlich liebt, treu in der Freundschaft ist, ihr Hauswesen
nicht vernachlägßißt, kurz, eine Frau in deren schwächlichen Körper eine
wahrhaft schöne erhabne Seele wohnt, und die ein Muster einer guten
Gattinn, Mutter, Freundinn und Weltbürgerinn ist. Noch könnt ich einige
andre Häuser nennen, worinnen guter Geschmack herrschte und in die ich
Eintritt hatte, wenn ich nicht fürchtete zu weitschweifig zu werden. Nur
das einzige noch der verstorbenen Frau
von Alvensleben, kann ich nicht ungenannt vorbeilassen. Sie war die
Sanftmuth und Güte selbst, ohne schön zu seyn erwarb sie sich durch ihr
einnehmendes Betragen, durch ihren lebhaften Witz, der nie beleidigte,
durch ihr feines richtiges Gefühl, durch ihren guten Geschmack jedermanns
Gunst; selbst von keiner ihrer Geschlechtsgenossinnen ward ihr die
verdiente Achtung versagt. Bei allen diesen Vorzügen war sie eben so
bescheiden wie meine Freundinn
Zitzmann,von allem Prunk entfernt. Durch mancherlei harte Prüfungen
reifte sie früh zur Ewigkeit. Solches Umgangs mit solchen Personen sucht
ich mich nun täglich würdiger zu machen. Ich glaubte, jede unedle
Empfindung, jeden unanständigen Gedanken könnten sie deutlich an meiner
Stirne lesen. Und so ward ich immer mehr im Guten durch Beispiele und
eignes Bestreben befestigt. Ich betrachtete fleißig Gemählde, Kupferstiche
und andre Produckte von großen zeichnenden Künstlern. Dadurch gewöhnt ich
meine Augen an schöne Formen, so daß ich so ziemlich Gutes vom Schlechten
zu unterscheiden weiß, ohne eben Kunstkenntnisse zu besitzen.
Hiller sorgte auch für die Verbesserung meiner
Glückumstände. Er empfahl mich als Musickinstrucktor in verschiedenen
angesehenen Häusern, nahm mich zum Mitarbeiter an seiner Operette „Der
Dorf"barbier”, und an seinen wöchentlichen musikalischen Nachrichten und
Anmerkungen an, wodurch er mich öffentlich in die musickalische Welt
einführte. Er beförderte einige meiner nachherigen Arbeiten zum Druck, und
vermehrte solchergestalt meine Einkünfte. Einige Gesänge zum Dorfbarbier,
verschiedene kleine Stücke in seinen wöchentlichen N. u. A., drei
Operetten: Die Apothecke, Amors Guckkasten und Die Einsprüche, die an
C.P.E.
Bach dedicirten Klaviersonaten sind ganz unter seiner Aufsicht
komponirt und herausgegeben worden. Meine übrigen gedruckten Arbeiten sind
folgende:
a.) Sechs Klaviersonaten, dem verstorbenen königl.
preuß. Kammerkomponisten, Herrn
Agrikola zugeeignet.
b.) Freymäurer Lieder, unter dem Nahmen Fenee.
c.) Lieder mit Klaviermelodien.
d.) Heinrich und Lyda, eine Operette.
e.) Zwölf Klopstockische Oden, von denen ein Manuskript
zu einer neuen verbesserten Ausgabe fertig liegt, welche nun auch in
Neuwied bei
Gehra, sehr schlecht und fehlerhaft gestochen, herausgekommen
ist.
f.) Sechs Serenaten zum Singen am Klavier.
g.) Sechs Klaviersonaten mit willkührlicher Begleitung
einer Violine.
h.) Vademecum für Liebhaber des Gesanges und
Klaviers.
i.) Sophonisbe, ein Monodram von
Mei3ner, der Durchlauchtigen Erbprinzeßinn von Hessen Darmstadt
zugeeigent.
k.) Ein Klavierkonzert mit vollständiger
Orchesterbegleitung, dem Churfürst von Sachsen dedicirt. Letzteres ist bei
Götz in Mannheim gestochen; alle andre Arbeiten sind bei
Breitkopf in Leipzig gedruckt worden.
1.) Lieder für meine Freunde und Freundinnen. In
Kommission bei
Hilscher zu Leipzig.
m.) Beyträge in verschiedne Journale.
n.) Klementine, ein kleines Singstück, bei
Gehra zu Neuwied.
Manuscripte sind:
1.) Eine Partitur der Oper Zemire und Azor nach des
Herrn
von Thümmels freier Übersetzung.
2.) eine Partitur der Oper Adelheit von Veltheim.
3.) eine Partitur vom lateinischen Vaterunser.
4.) Sechs Klaviersonaten mit obligater
Violinbegleitung.
5.) Einige Parthien für ein vollständiges Orchester
.
5. Eine Partitur von zwischen den Aufzügen der
Schauspiele zu spielenden Stücken.
6.) verschiedene Lieder.
7.) 24 geistliche Lieder von
Elissen
8.) kleinere Theater- und andre unvollendete
Arbeiten.
In Arbeit hab ich einen Klavierauszug von Adelheit von
Veltheim, welcher künftige Ostermesse bey
Dyck in Leipzig herauskommen soll; und die Komposition einer neuen
Operette von
Dyck, Der neue Gutsherr.
Ich war sehr begierig einem Manne, wie
Hiller, der so viel Gutes an mir gethan, meine Danckbarkeit einmal
thätig zeigen zu können. Denn daß ich ihm meine erste Operette Die
Apothecke zueignete, verdient weiter nicht in Betrachtung gezogen zu
werden. Lange konnt ich keine Gelegenheit darzu finden, worüber ich oft
traurig ward. Endlich fand ich doch eine. Er hatte auf Zureden die Stelle
des Musickdirecktors bei dem Theaterdirecktor
Seyler übernommen. Da er sie aber wegen vieler andren Verbindungen
nicht gehörig besorgen konnte und mehr Verlust als Gewinn dabei hatte, so
frug er mich, ob ich als ein ungebundner Mann ihn nicht ablösen wollte?
Meiner Verfagung, fügte er hinzu, würde diese Stelle gewiß behäglicher
seyn, als der seinigen. Ob ich mich nun schon aus vielen angenehmen
Verhältnissen setzen mußte, so ergriff ich doch mit Freuden die
Gelegenheit meinem geehrten Freunde eine Gefälligkeit erzeigen und ihn von
einigen Verlegenheiten befreien zu können. Ich ward bald mit
Seylern über die Bedingungen einig, und im Jahr 1776 gegen den
Johannistag reißt ich ins linckische Bad nah bei Dreßden, wo sich damals
die seylerische Schauspielergesellschaft befand , und übernahm den Posten
meines lieben
Hillers, welcher nach Leipzig zurückkehrte. Ich hatte einen
mündlichen Kontrackt mit
Seylern auf ein Jahr gemacht. Bevor dieses Jahr verflossen, endigte
sich
Seylers Kontrackt mit dem kursächsichen Hofe, und da sich
Schwierigkeiten über verschiedne Punckte eines neuen Kontradcts äuserten,
hielt sich Seyler genöthigt, Sachsen mit den Rheinländern zu vertauschen.
Ich fühlte wenig Neigung in mir, ihn dahin zu begleiten, weil ich gar sehr
an meinem Vaterlande, an meinen Verwandten und Freunden hieng, und weil
mich ein liebes braves Mädchen in meiner Geburtsstadt feßelte. Ich
ersuchte demnach
Seylern, mir die sechs Wochen zu erlassen, die noch zur gänzlichen
Erfüllung des Kontrackts fehlten. Allein er mahlte mir die rheinischen
Gegenden so reitzend, stellte mir den nützlichen Einflu1ß einer solchen
Reise auf meine Gesundheit vor, (welchen ich in der Folge auch erfahren)
daß ich die heilsamsten Bäder und mineralischen Brunnen dort fände, mich
durch kräftigen ungeschminkten Rheinwein stärken, und durch alles Dieß
meiner Hipochondrie einen solchen nachdrücklichen Streich versetzen könne,
daß sie mich vielleicht nie wieder heimsuchen werde. Ich ließ mich endlich
überreden, und reißte also im Jahr 1777 nach der leipziger Ostermesse mit
seiner Gesellschaft nach Frankfurt am Main, wo wir den 9 Mai eintrafen.
Die Entfernung von meinemVaterlande und all denen Lieben darin that meinem
Herzen sehr weh. Doch zogen mich nach und nach die zauberischen
Schönheiten der mainischen und rheinischen Gegenden an sich, und sie,
nebst vielen andern neuen Gegenständen minderten den Kummer der Trennung.
Ich dirigirte noch zwei Jahre und ein halbes die Opern der seylerischen
Bühne, welche abwechselnd in Frankfurt, Mainz, Kölln, Hanau, Mannheim und
Heidelberg eröfnet ward, bis endlich diese einst so glänzende
Schauspielergesellschaft 1779 nach der frankfurter Herbstmesse auseinander
gieng. — Zwischen dieser Zeit, 1778 den 17 Mai verheirathete ich mich zu
Franckfurt mit Demoiselle
Zink, aus Warza im Gothaischen gebürtig, ehemals in Herzoglich
gothaischen Diensten als Hofsängerinn, und damals, auf Anrathen des
Kapellmeisters
Georg Benda, in dessen Hause sie erzogen worden, Schauspielerinn
und Sängerinn beim seylerischen Theater. Ich hatte sie schon längst ihres
sanften Herzens, steten Karackters und ihrer guten Sitten wegen geschätzt.
Sie liebt mich als Gattinn überaus zärtlich, und hat mir nun sechs Kinder,
drei Mädchen und drei Knaben gebohren, von we1chen letztern aber zwei
gestorben sind.
Ich sah keine Hofnung vor mir, jemals mit meinem
geliebten Gegenstande in Sachsen durch Hymens Bande vereinigt zu werden.
Der Gram unglückicher Liebe beugte mich zu sehr nieder; ich begann die
sonstige Thätigkeit in meinem Amte zu verliehren; selbst mein Talent litt;
die Neigung mit einer tugendhaften Freundinn (die ich auch in meiner
Gattinn gefunden) den Pfad meines Lebens gemeinschaftlich zu durchwandeln,
ward immer stärcker in mir: Dieß waren die Ursachen die mich zu dieser
Heirath bewogen.
Ich habe am Main- und Rheinstrom manche
Merkwürdigkeiten gesehen, manche wichtige und angenehme Bekanntschaften
gemacht und einige meinem Herzen theure Freunde gewonnen. Unter die
leztern zähl ich besonders den Herrn Baron
von Kniggen und Herrn Hofraht
Rühl zu Frankfurt, den Herrn Amtskeller
Umfenbach zu Mainz, den Herrn Kanzler
Haack zu Koblenz, die Herren Hof Kammerräthe
Bleibtreu zu Neuwied, Herrn
Schmidt, Schauspieler zu Bonn bei der großmannischen Bühne und den
Herrn Hauptmann
Dantoine nebst dessen verehrungswürdigen Gattinn, ebenfalls zu
Bonn.
Die meisten Schauspieler handeln aus Imagination,
Instinckt und Egoismus; die wenigsten nach sichren moralischen
Grundsätzen.
1779 im Oktober, nachdem sich die seylerische
Gesellschaft getrennt hatte, gieng ich mit meiner Familie zur
Großmann-Hellmutischen Bühne nach Bonn. Ich stand zwar vorher schon
mit
Bondini, dem Impressario des kursächsischen Theaters in
Unterhandlung; weil er aber seinen letzten Entschlusch zu lange
verzögerte, so nahm ich einstweilen unter freundschaftlichen Bedingungen,
ohne förmlichen bestimmten Kontrackt die Stelle eines Musickdirecktors,
und meine Frau die einer Schauspielerinn bey der bonnischen Gesellschaft
an. Einige Zeit darnach kamen Briefe von
Bondini an mich, worinnen er meine Forderungen bewilligte. Ich
benachrichtigte die Direcktion davon, und von meiner ganzen Verbindung mit
Bondini, die schon seit einem halben Jahr existirte. Ohne
Kontrackt, als Freund von Freunden, die meine Vaterlandsliebe kannten,
durft ich erwarten, daß sie mich ohne Hindernisse wieder von dannen ziehen
ließen. Doch sie sollten nicht allein alles für mich thun. Ich schlug vor,
daß ich
Bondini ersuchen wollte, die Anfangszeit des Kontrackts bis zu den
nächsten Ostern zu verschieben. Indeß könnt ich ihnen ihre Oper auf einen
bessern Fuß setzen, und sie hätten Zeit genug, unsre Lücken wieder
auszufüllen. Dieß ward angenommen. Ich schrieb also an
Bondini. Er antwortete bald darauf, wollte von keinem Aufschub
hören, schickte Kontracktsmäsigen Brief, Wechsel zu Reisekosten, und drang
darauf, daß ich mit meiner Frau längstens in der Mitte des Jänners zu
Leipzig eintreffen sollte. Dieß meldete ich sogleich der Direcktion und
bat sie, mich nun nicht weiter aufzuhalten. Man bediente sich mancherlei
Mittel, mich zur Vernichtung der Verbindung mit
Bondini zu bewegen. Liebkosungen, Versprechungen künftiger
Vortheile, Apellationen an mein Herz, Ermahnungen u. d. m. versuchte man.
Allein ich, der ich mich auf keine bestimmte Zeit an die bonnische
Direcktion versprochen, weder durch schriftlichen noch mündlichen
Kontrackt gebunden war, wie aus denen noch in meinen Händen befindlichen
Originalpappieren zu ersehen ist, (die ich nach Dreßden zu meiner
Rechtfertigung geschickt) ich konnte als ein ehrlicher Mann meine
gesetzmäßige Verbindung mit
Bondini nicht aufheben, wenn ich auch die Sehnsucht nach meinem
Vaterlande besiegt, und die bonnische Direcktion mir auch noch so viel
reelle Schadloßhaltung angeboten hätte, wie sie denn doch nicht gethan.
Endlich da alle Versuche mißlangen, legte man Arrest auf meine Effeckten.
Ich klagte. Aber die Entscheidung der Sache ward von einer Zeit zur andern
verzögert. Dieß war auch der einzige Weg, auf welchem man seine
Absicht erreichen konnte. Kurz, es war mir unmöglich, zur gesetzten Zeit
in Leipzig zu erscheinen;
Bondini war genöthigt, andre Personen zu unsern Stellen zu
engagiren, und ich mußte einen Kontrackt eingehen und also in Bonn
bleiben. Über meine Richter beklage ich mich nicht. Nach dem Lichte, in
welchem ihnen meine Sache vorgestellt worden, und nach gewissen andern
Umständen, die ich aus Bescheidenheit verschweige, konnten sie fast nicht
anders verfahren. Nur über Mißhandlung der Freundschaft habe ich zu
klagen, die auf einen redlichen Mann, der solcher Auftritte nicht gewohnt
ist, schrecklich würken kann. Möchte diese Begebenheit auf ewig aus meinem
Gedächtniß getilgt seyn! Sie hat meinem Herzen eine tiefe Wunde
geschlagen, meinen Karackter und meine Gesundheit nicht wenig verstimmt,
und Empfindungen und Leidenschaften in mir erweckt, deren ich mich nie
fähig geglaubt. Es brauchte lange Zeit und Mühe, ehe ich wieder ruhiger
ward und meinen Karackter wieder in seine vorige Stimmung brachte.
Freundesgesinnungen und Zutrauen für gewisse Personen hab ich nie wieder
in mir erregen können. Diese Ereigniß verbreitet nun über ihre andern
Handlungen ein ganz anderes Licht. Indeß habe ich mein Amt mit voriger
Treue und Eifer verwaltet, welches ich bis itzt noch thue.
Im Jahr 1781 den 15 Februar bekam ich auf
Empfehlung des dirigirenden Ministers Grafen
von Belderbusch, und der Frau Gräfinn
von Hatzfeld von Sr. Kurfürstlichen Gnaden zu Kölln,
Maximilian Friedrich das Dekret zur Anwartschaft auf die
Hoforganistenstelle zu Bonn ohne daß ich wegen meiner Protestantischen
Religion in Anspruch genommen ward .
Im Junius dieses Jahrs reißt ich mit der Gesellschaft
nach gehaltener frankfurter Ostermesse, nach Pirmont, wo
Großmann die Direcktion allein übernahm, und wo wir uns zwey Monate
verweilten; von da nach Kassel wo wir uns fast eben so lang aufhielten,
und wo ich in eine Gesellschaft aufgenommen zu werden gewürdiget ward, die
aus weisen großen Plane für das Menschenglück vereint arbeiten wollten.
Der erste Plan war wirklich gross und vortrefflich. In der Folge aber
entdeckte ich manche Lücken, viel menschliche Schwachheiten und wohl noch
schlimmere Dinge, die mich bestimmten, mich wieder zu entfernen.
Von Kassel kehrten wir nach Bonn zurück. Daselbst
blieben wir bis zum 20 Junius 1782. An diesem Tage traten wir unsre Reise
nach Münster an, wohin auch der Kurfürst gieng. :] Ich ward also nun
wirklicher Hof- und Hofkapellen Organist. Doch erhielt ich Erlaubniß, daß
ich meine Stelle durch einen Vikar verwalten lassen, nach Westphalen und
von da nach Frankfurt zur Michaelismesse mitreisen durfte, wo wir das vom
Magistrat neu erbaute Kom ödienhaus einweihten.
Biss 1784 gieng ich meinen gewöhnlichen Pfad; ich
spielte die Hof-Orgel, (welche sehr klein, und nur ein Nothelfer ist, bis
zur Erbauung einer neuen. Ein vortreffliches Werk ist mit der ganzen
Kapelle bei dem großen Schlossbrand verunglückt.) dirigierte die Opern zu
Bonn, und in Franckfurt zur Messzeit. Ausser dass mir 1783 auch die
einstweilige Direction der Kirchenmusick übertragen ward, weil der
Kapellmeister
Lucchesi und der Konzertmeister
Mattioli in ihr Vaterland gereisst waren. Während dieser
Interim-Direktion wurde meine Menschenkenntnis ziemlich bereichert. 1784
starb der Kurfürst, ein guter menschenliebender Herr, und ich hatte die
traurige Pflicht, bei seinem Begräbniss in dem grossen prächtigen Dom zu
Kölln ein Requiem von
Rosetti mit den kurfürstlichen Kapellisten aufzuführen.
Das Theater ging nun aus einander.
Lucchesi kam zurück und ward in seinem Kapellmeisterposten
bestätigt.
Mattioli kam auch, gieng aber bald mit seinem Abschied auf seine in
Italien gelegenen und in Teutschland erworbenen schönen Güter. Mein
Schicksal schien eine unangenehme Wendung zu nehmen. Madam Fortuna machte
mir ein finstres Gesicht; bald aber lächelte sie mich wieder freundlich
an. Ich spiele nun mit dem jungen
Bethoven, der ein vortrefliches Talent besitzt, wechselsweise die
Orgel, bin Accompagnist im Kabinet, und Regisseur der Oper bei der neu
errichteten Nationalbühne. Es ist mein Stolz und mein Vergnügen, einem der
aufgeklärtesten teutschen Fürsten zu dienen. Von ihm kann man mit
Wahrheit, ohne Schmeichelei, (dieser hat er einen ewigen Hass geschworen)
sagen, dass er jede Pflicht seiner hohen Staffeln ganz und mit Freudigkeit
erfüllt; durch Schwelgerei oder launische Verschwendung als einzelner sich
zu bereichern ist seine Sache nicht; aber das Ganze zu beglücken ist sein
unablässiges Bestreben. Sein thätiges Beispiel giebt allen Geschäften
Leben und Gedeihen. Er sucht durch Verbesserung des Schulwesens ächte
Aufklärung unter allen Ständen zu bewirken und auszubreiten. Er ermuntert
jedes wahre Verdienst. Täglich haben seine Unterthanen, auch die
geringsten, bei ihm Zutritt, und er hilft ihnen schleunig, wenn ihre
Beschwerden gegründet sind. Taugenichts weiss er aber bald von sich zu
entfernen. Er ist Kenner, Freund und Belohner der Tonkunst; sie ist eines
seiner liebsten Erholungsmittel. Wer sollte denn einem solchen Regenten,
wie
Maximilian Franz ist, nicht mit Freuden dienen?
Bis hieher geht mein unbedeutendes einfaches Leben.
Möchte ich die wenigen Jahre, die ich nach meinem kränklichen Körper etwan
noch zu leben habe, ruhiger und nützlicher für meinen Geist, für meine
Familie und für meine Mitmenschen anwenden, und dann endlich Bruder Hain
mit freudigem Herzen umarmen können!
Franckfurt, den 30 September 1782
Bonn. 1789
Resultat der
Beobachtung meiner selbst
Mein Körper ist klein und äsopisch gestaltet, und
überaus hager. Mein Temperament ist kolerisch- melancholisch. Doch hat
auch etwas vom phlegmatischen und sanguinischen. Ich habe eine lebhafte
Einbildung, schnelle Empfindung, schwaches Gedächtniß stärkere
Beurtheilungskraft, und Gefühl fuir alles, was moralisch und phisisch gut
und schon ist; doch ist dieses Gefühl nicht immer gleich warm.
Ich verehre die Religion des Herzens, liebe alle
Menschen, haße die Boßheit, dulde gern Irrthümer des Verstandes, und
entschuldige gern Schwachheiten des Herzens. Ich bin dienstfertig, hege
Mitleiden mit dem Unglücklichen, bin hartherzig gegen Arme, die es aus
Müssiggang sind.
Ich ehre das schöne Geschlecht. Mein Herz ist sehr zur
Freundschaft geneigt; doch erricht ich nicht mehr so leicht
Freundschaften, weil mich Hintergehungen vermeinter Freunde argwöhnisch
und zurückhaltend gemacht haben. Gegen geprüfte Freunde aber bin ich treu,
thätig, offenherzig und mittheilend. Freimüthig bin ich gegen
jedermann.
Ich bin kein Freund des Ceremoniells, der Etiqvette,
noch leerer Komplimente. Oft werd ich deswegen sonderbar auch wohl gar
beleidigend. Schmeichler und Zuträger verabscheue ich.
Ich liebe meine Familie und halte sehr streng auf Zucht
und Ordnung in meinem Hauswesen. Ordnung lieb ich überhaupt, und fordre
sie von allen denen, mit welchen ich in Verbindung stehe.
In der Ehe leb ich enthaltsam. Durch eheliche und
freundschaftliche Verhältnisse laß ich mich nicht gern in allgemeinern
Pflichten stören.
Ich bin gern würksam, gehe nie eigentlich müßig; aber
mechanisches Arbeiten ist mir fatal. Ohne Laune komponir ich nicht. Und
die Arbeiten die ich zu Zeiten ohne dieselbe habe fertigen müssen, sind
solche, die ich nicht weiter für die meinigen erkennen mag.
Ich habe einen Hang zur Einsamkeit und zum Landleben.
Ich bin traurig und frölich; doch das erste mehr als das letzte. Diese
beiden Leidenschaften, Traurigkeit und Frölichkeit wechseln bei mir
zuweilen sehr schnell ab, wie bei allen Hipochondristen. In
hipochondrischer Stimmung seh ich leicht Dinge in einem falschen Lichte.
Auch wandelt mich darinn manchmal ein Hang zu übertriebener Sparsamkeit
an; sonst schätz ich das Geld eben nicht sehr. Witterung hat auf meinen
Körper und Humor besonders starken Einfluß. Bisweilen bin ich ein muntrer
Gesellschafter, bisweilen auch ein sehr lästiger. Manchmal bin ich
mürrisch und bitter in meinen Ausdrücken.
Rang und Titel sind mir gleichgültig, wenn sie nichts
zu kräftigerer Würksamkeit beitragen. Aber immer lieb ich die Ehre, und
sie ist die Triebfeder vieler meiner Handlungen. Gegen vernünftigen
Beifall bin ich nichts weniger als gleichgültig. Doch bin ich manchmal zu
stolz, manchmal zu bescheiden. Zuweilen zu kühn, zuweilen zu furchtsam.
Bald getrau ich mir die schwersten Arbeiten zu vollenden, und bald
glaub ich kein Menuet machen oder keinen Brief an einen Schustermeister
schreiben zu können.
Jedem fremden Verdienst, es mag dem meinigen gleichen,
oder dasselbe überwiegen, 1aß ich gern Gerechtigkeit wiederfahren, und
wenn ich es auch bei meinen Feinden finde.
Erhabne Gesinnungen, großmüthige Handlungen, Gemälde
kindlicher und aelterlicher Liebe und belohnter Rechtschaffenheit haben
meinen vorzüglichen Beifall.
Einseitigen Geschmack kann ich so wenig vertragen,
als Kompendiengelehrsamkeit. Ich bin gern unabhängig, ohne mich über
alle Verhältniße hinaussetzen zu wollen. Ich bin empfindlich , jähzornig,
leicht zu beleidigen durch Spötteleien, durch Anfälle auf meine Ehre und
mein Herz, durch Eingriffe in mein Amt und durch versäumte
Berufspflichten; aber auch leicht wieder zu besänftigen und zu versöhnen.
Nur thu ich nicht gern den ersten Schritt zur Versühnung, wenn ich
beleidigt worden bin, wohl aber, wenn ich beleidigt habe. Rachsüchtig bin
ich nicht, und um Privatbeleidigungen willen 1aß ich nie das Ganze leiden,
das von meiner Würksamkeit gänzlich oder zum Theil abhängt. Ich hasse die
Partheilichkeit. Zutrauen zu dem, der mich einmal planmäßig betrogen hat,
gewinn ich schwerlich wieder.
Über Materien von deren Wahrheit ich überzeugt bin,
oder übereugt zu sein glaube, disputire ich mit Wärme, wol auch mit
Heftigkeit.
Für empfangene Wohlthaten ist mich Gedächtniß nicht zu
kurz. Ich vergelte sie gern nach meinen Kräften, wenn ich Gelegenheit
darzu finde.
Ich trinke gern Wein, bisweilen mehr, als ich für meine
Gesundheit sollte; dann aber hüte ich mich vor diesem Getränke, wenn ich
Geschäffte oder Arbeiten vor mir habe. Sonst kann ich meine Bedürfnisse
nach meinen Umständen einschränken. Von der Mode laß ich mich nicht
tirannisiren.
Die Großen der Erde lieb ich, wenn sie gute Menschen
sind, ihre Gesetze verehr ich, wenn sie das Beste der bürgerlichen
Gesellschaft befördern. Doch dräng ich mich niemals bei ihnen zu. Schlimme
Fürsten haß ich mehr als Banditen.
Ich strebe nach Erweiterung meiner Kenntnisse, und nach
Verbesserung meines Herzens, ob ich gleich auch hierinnen nicht selten mit
Schwachheiten, Nachlässigkeiten, Leidenschaften und Umständen zu kämpfen
habe.
C. G. N.
Neefes
Lebensgeschichte von
seiner hinterlassenen Wittwe fortgesetzt
«Allgemeine Musikalische Zeitung» (23) den 6. März 1799,
Spalte 360 bis 364
Im Jahr 1784 wurde meinem seligen Manne die
einstweilige Direktion über Kirchen- und die andere Musik bey Hofe
übertragen, weil der Churfürstliche Kapellmeister
Lucchesi auf einige Monathe verreiste. Während dieser Zeit
hatten wir das Unglück, unsern wahrhaft guten alten Churfürsten zu
verlieren.
So sehr dieser gute Fürst auch von Jedermann beklagt
wurde, so fühlten doch wenige seiner Unterthanen seinen Verlust so sehr,
als wir: denn wir verloren zugleich jährlich 1000 Gulden von unserm
Gehalt, weil das Theater, welches er auf seine eigenen Kosten unterhalten
hatte, aufhörte. Es blieb uns also nichts übrig, als der feste Gehalt,
welchen mein Mann als Hoforganist hatte. Davon allein konnten wir aber
nicht leben; es mußten also Lectionen dabey gegeben werden, um das
Fehlende herbey zu bringen. Es dauerte auch nicht lange, so hatte er die
Lectionen von vielen der ersten Häuser in Bonn. Zu seinem Vergnügen kaufte
er sich einen kleinen Garten vor dem Thore, worinne er die wenigen
Stunden, welche ihm zu seiner Erholung übrig blieben, zubrachte. Doch war
er auch hier keinen Augenblick mügig. Er besäete und bepflanzte sein
Gärtchen selbst, wartete und pflegte seine jungen Bäume und Pflanzen mit
so viel Sorgfalt, daß jeder, der vorbey gieng, stehen blieb und sich des
ordentlichen und fleißigen Gärtners freuete. Wie süß schmeckten uns die
selbstgezogenen Gemüse und die ersten Früchte der selbstgepflanzten
Bäumchen! So verlebten wir unsere Zeit ziemlich ruhig, bis nach einigen
Jahren der jetzige Churfürst von Cölln abermals ein Hoftheater errichtete,
wobey mein Mann seine schon seit vielen Jahren begleitete Stelle als
Musikdirektor und ich die meinige als Hofschauspielerin wieder bekam.
Dadurch wurde freylich unsere Einnahme, aber auch die Arbeit meines Mannes
dergestalt vermehrt, daß er gezwungen war, seine Lektionen wieder
aufzugeben, und alle seine Kräfte dem Theater zu widmen. Nichts belebte
ihn dabey mehr, als die Hoffnung, daß hier für uns im Alter Brod wachse.
Armer Mann, wie traurig wurdest du getäuscht! —
Der französische Krieg brach aus. Die Franken kamen uns
immer näher, das Theater wurde eingestellt, der Gehalt hörte auf, und die
Lektionen waren aufgegeben. Unser ältester Sohn [Karl], der uns zu den
schönsten Hoffnungen berechtigte und der die Stütze unsers Alters werden
sollte — starb jetzt gleichfalls! — Nun bekam mein Mann Briefe aus
Amsterdam vom Herrn Schauspieldirektor
Hunnius, welcher unsere älteste Tochter Luise von 15 Jahren, welche
schon seit einigen Jahren in der Musik unterrichtet worden war, und
öffentlich Proben ihres Talents abgelegt hatte, zu seiner Gesellschaft als
Sängerin begehrte. Da für sie in Bonn nun weiter keine Aussicht und nicht
einmal Gelegenheit war, ihr Talent vollends auszubilden, so wurden mein
Mann und Herr Direktor
Hunnius bald über die Bedingungen einig, unter welchen sie kommen
sollte. Um sie recht sicher an Ort und Stelle zu bringen, nahm es der
zärtliche Vater, ohngeachtet seines schwächlichen Körpers auf sich, sie
selbst dahin zu bringen, und reiste 1794 mit unserer Tochter ab, welche
auch, zwey Tage nach ihrer Ankunft in Amsterdam, zur Zufriedenheit des
Direkteurs und des Publikums als
Konstanze in
Mozarts Entfiührung auftrat. Nach vier Wochen kehrte mein guter
Mann wieder in unsere Arme zurück. Nunmehr wäre Zeit genug für die
Lektionen da gewesen, aber alles war in Furcht und Schrecken über die
immer näher und näher kommenden Franken. Da sie zu gleicher Zeit auch
ihren Marsch nach Holland nahmen, so gieng Herr Direktor
Hunnius mit seiner Gesellschaft nach Düsseldorf. Er besuchte uns,
und da er fand, daß mein Mann kein anderes Geschäft hatte, als zweymal in
der Woche die Orgel in der Hofkapelle zu spielen, so bot er ihm eine
ansehnliche Gage, wenn er zu ihm kommen und seine Oper dirigiren wollte.
Mein Mann, dessen musikalischer Geist jetzt ohnehin zu wenig Nahrung
hatte, gieng zum Churfürsten und begehrte auf einige Zeit Urlaub, auch war
er schon mit einem Freunde überein gekommen, der seinen Dienst einstweilen
versehen wollte. Der Churfürst schlug ihm seine Bitte ab und verlangte,
daß er seinen Dienst so lange thun sollte, als die Franken den
Gottesdienst nicht störten. Es vergiengen kaum 14 Tage, so reisten Se.
Durchl. von Bonn weg, der ganze Adel folgte ihm nach, die Franken rückten
ein, der Rhein und alle A- und Zugänge waren gesperrt: wir mußten nun
bleiben.
Der Churfürst hatte vor seiner Abreise seiner
Dienerschaft noch drey Monate Gehalt voraus bezahlen lassen, und sich und
sei nen Unterthanen mit der Hoffnung geschmeichelt, binnen dieser
Zeit wieder in Bonn zu seyn. Aber es vergieng ein Monat und ein
Vierteljahr nach dem andern — wir bekamen Tag vor Tag Einquartierung, eine
Lieferung über die andere, die Lebensmittel stiegen mit jedem Tage, viele
dringende Nothwendigkeiten konnte man für Geld nicht einmal mehr bekommen,
und dabey kein Heller Einnahme! Bey Einrichtung einer neuen Municipalität
fiel es den Franken noch gar ein, meinen Mann in Requisition zu nehmen,
und ihn, ohngeachtet seiner Kränklichkeit und seines Mangels an den dazu
gehörigen Kenntnissen, zum Municipalbeamten zu machen. Dafür bezahlten sie
ihm aber auch monatlich 200 Livres in Papier, wofür mir Niemand nur ein
Brod gab. Desto mehr belud man meinen Mann mit Arbeiten. Der Vormittag
wurde jeden Tag, und oft auch der Nachmittag auf dem Rathhause zugebracht,
die übrigen Stunden verstrichen zu Hause mit Durchlesung ganzer Stöse
Akten. Dabei mußten wir ein Stück nach dem andern verkaufen, um nur leben
zu können! Dieses dauerte beynahe ein Jahr, als in der Administration noch
ein zweyter Registrator verlangt wurde. Da dort mit Gelde und hier blos
mit Papier bezahlt wurde, so zog mein Mann diesen Dienst vor, und wurde
vom Ratsherrn zum — Registrator. Hier gab es nun wieder ein neues Studium.
So viele Mühe ihm dies anfänglich machte, so überwand er doch, da er von
jeher an Fleiß und Ordnung gewöhnt war, auch diese Schwierigkeiten: und
nun befanden wir uns einige Monate ziemlich leidlich! — Kaum fiengen wir
an zuweilen eine heitere Stunde zu genießen, so traf uns ein euer Schlag:
die ganze Administration wurde mit einem mal abgesezt. Während dieser Zeit
war Herr Direktor
Hunnius mit seiner Gesellschaft in Wetzlar und beynahe ein Jahr in
Mainz gewesen, wo er sie aus einander gehen ließ, und unsere Tochter hatte
Engagement bey Herrn
Bossang, Direktor bey der Hofschauspielergesellschaft in Dessau,
angenommen. Diesem gieng im August 1796 sein Musikdirektor ab, er schrieb
deswegen an meinen Mann und bot ihm diese Stelle an. Wir konnten nicht
länger in Bonn bleiben, wenn wir als rechtschaffene Menschen handeln und
den guthen Leuten, welche uns in der Noth geholfen hatten, nichts schuldig
bleiben wollten. Wir befriedigten ihre Forderungen mit allem, was wir
hatten, und reiseten von Bonn nach Leipzig, wo unsere Bestimmung war, die
Bossangische Gesellschaft zu erwarten. Wie glücklich fühlten wir
uns beym Eintritt in diese schöne Stadt! Wir glaubten nunmehr alles über
uns verhängte Elend überstanden zu haben, und hatten auch noch die große
Hoffnung von unserm lieben Churfürsten, welchen wir das Glück hatten, eben
daselbst zu treffen, den noch rückständigen sieben vierteljährigen Gehalt
zu bekommen, da mein Mann auf seinen ausdrücklichen Befehl, seinen Dienst
in der Hofkapelle bis zum Tage seiner Abreise richtig versehen hatte. Es
wurde dem Churfürsten eine Supplik dieserhalb übergeben, mein Mann gieng
darauf selbst zu ihm, wurde augerordentlich gnädig aufgenommen, und wir
erwarteten mit Sehnsucht die Antwort. Sie kam — mit zitternder Freude
öffneten wir, und fanden nichts, als einen förmlichen Abschied!
Wir blieben zwey Monate in Leipzig, und reisten den 1.
Dec. 1796 von da nach Dessau. Den ersten Winter verlebten wir hier sehr
vergnügt. Wir fühlten das Glück, aus dem Elende des Krieges errettet zu
seyn, und dankten es mit innigster Rührung der Vorsehung. Doch auch dies
Glück sollte bald gestört werden. Ich verfiel in ein hitziges
Gallenfieber, gerieth in Wahnsinn und Raserey und verursachte meinem guten
Mann also neues Leiden. Wider alles Vermuthen wurde ich durch die Kunst
des hiesigen Herrn
D. Olbergs vollkommen wieder hergestellt, und ich ergreife diese
Gelegenheit, diesem würdigen Manne öffentlich meine herzlichste
Dankbarkeit zu bezeigen.
Nach einigen Monaten überfiel meinen Mann ein ganz
ungewöhnlicher Katharrh. Der Husten dauerte Tag und Nacht fort, und
verursachte seiner ohnehin schwachen Brust viel Schmerzen. Er konnte weder
liegen noch sitzen. Diese Unruhe dauerte einige Tage immerwährend fort.
Den 26. Jan. 1798 fieng endlich der Husten an ein wenig nachzulassen; der
Kranke bekam Lust zum schlafen, verlange seine Arzeney und bat, daß man
ihn ja nicht im Schlafe stören möchte. Er schlief auch wirklich bald
darauf ganz ruhig ein, aber ohne jemals die Augen wieder zu öffnen. Sein
Ende war so ruhig und sanft, als sein Leben unruhig und kummervoll gewesen
war. Er brachte sein Alter auf fünfzig Jahr weniger neun Tage und
hinterließ am Leben drey Töchter und einen Sohn.
Susanna Maria Neefe.
Wittwe.
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